Nur wenige Tage vor seinem 65. Geburtstag stand Ernst Huber aus Samedan auf dem Gipfel des Mount Everest. Er ist damit der älteste Schweizer und erste Engadiner überhaupt, der dies geschafft hat.
Einmal einen Achttausender zu besteigen, dieser Gedanke sei schon lange in seinem Kopf herumgespukt, erzählt Ernst Huber gut drei Monate nach seiner geglückten Everest-Besteigung. Dass es allerdings der höchste aller Achttausender sein wird, das sei eher ein Zufall gewesen. Oder anders gesagt: die beste Option. Zum ersten Mal seit langem habe er die Möglichkeit gehabt, im Frühling 2025 eine längere Reise zu unternehmen, was vorher durch seine Arbeit nie möglich war, doch dazu später mehr. Er habe sich also erkundigt und Ende 2024 dann beschlossen, sich einer Everest-Expedition anzuschliessen, welche aus vier Schweizer Bergsteigern, vier Sherpas und einer Küchenmannschaft bestand. Wichtig sei ihm gewesen, mit einer erfahrenen Organisation mit guten Kontakten vor Ort zu gehen, denn ohne Begleitung wäre eine Everest-Besteigung unmöglich. Ebenfalls klar sei für ihn gewesen, dass die Besteigung nur mit Sauerstoff zu schaffen sei. Und noch etwas war Ernst Huber klar: Er möchte von der Nordseite auf den Everest steigen und nicht wie die meisten Bergsteiger von der Südseite aus. «Die Nordseite ist technisch anspruchsvoller mit Kletterpassagen auf über 8‘000 Metern über Meer, dafür muss man den Eisfall nicht überqueren, kann also eine objektive Gefahr eliminieren.»
Die Besteigung von der Nordseite aus zu wagen, also von Tibet her, habe jedoch auch noch einen anderen Grund gehabt, nämlich die Kultur. «In Nepal war ich bereits auf mehreren Trekkings, habe auch das Basecamp dort bereits einmal besucht. Tibet hingegen kannte ich noch nicht und hat mich gereizt.» Und doch, die Akklimatisierung, also die Gewöhnung an die Höhe, führte Ernst Hubers Expedition in Nepal durch, da es Probleme mit dem Visum für Tibet/China gab. Im Nachhinein sei dies jedoch ein Glücksfall gewesen, so hätten sie wunderschöne Touren durchs Langtang-Tal gemacht, mit zwei Gipfelbesteigungen auf bis 5‘500 Metern über Meer.
Und dann: die Everest-Besteigung
Mit der Genehmigung des Visums reist Ernst Hubers Expedition zunächst nach Lhasa, in die Hauptstadt von Tibet. Von dort geht‘s mit dem Auto über eine gut ausgebaute Strasse in vier Tagen ins Basislager auf 5‘200 Metern über Meer. Und dann, übers Advanced Basecamp auf 6‘400 Metern über Meer, in die drei Hochlager auf 7‘000, 7‘800 und 8‘250 Meter über Meer und von dort auf den Gipfel. Am 19. Mai habe sich ein gutes Wetterfenster abgezeichnet mit dem Ziel, den Gipfel am 24. Mai zu besteigen. Und so kam es dann auch. Am Abend des 23. Mai um 23 Uhr startete Ernst Huber zusammen mit seiner Begleitperson, dem Nepali Sherpa Nuru von 8‘250 Metern über Meer aus zum Gipfel des Mount Everest. «Auf etwa 8‘600 Metern über Meer merkte ich, dass meine Zehen eiskalt waren und habe mir noch 10 Minuten gegeben, um zu entscheiden, ob ich mit abgefrorenen Zehen auf dem Gipfel stehen möchte oder doch lieber absteigen sollte.» In diesen zehn Minuten jedoch sei die Sonne aus den Wolken gekommen, der Wind habe nachgelassen und es sei wärmer geworden. Und so war der Entscheid klar, es geht weiter. Um etwa 9 Uhr morgens dann sahen sie eine Schneekuppe mit Menschen darauf und Tibeterfahnen. Ernst Huber dachte, es sei ein Vorgipfel, sein Sherpa jedoch meinte: «That‘s the summit» – dies sei der Gipfel.
«Das war ein Gänsehautmoment. Zu wissen, höher hinauf geht es nicht, dieses Gefühl kann man nicht beschreiben.»
Nach einer halben Stunde auf dem Gipfel und vielen Fotos beginnt für Ernst Huber und Sherpa Nuru der Abstieg. «Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen und kaum getrunken und wusste, in dieser Höhe muss jeder Schritt sitzen. Ein Beinbruch oder eine defekte Sauerstoffflasche kann hier oben das Ende bedeuten.» Darum wollte Ernst Huber am gleichen Tag bis ins Advanced Basecamp auf 6‘400 Metern über Meer absteigen. Abends um 21:30 Uhr sind sie dort angekommen. «Das letzte Stück war ein Krampf, doch dann kamen uns die «Kuchi-Boys» entgegen und drückten uns je eine Cola in die Hand. Das war ein unbeschreibliches Gefühl und so sind wir die letzten Meter fast geflogen.»
Der Mount Everest und der Massentourismus
Doch wie geht Ernst Huber mit der Kritik am Mount Everest um, was Massentourismus und Luxusexpeditionen betrifft? Der 65-Jährige sagt, er habe Expeditionen mit Teilnehmenden beobachtet, die keine Ahnung vom Bergsteigen gehabt hätten. Dies sieht auch er kritisch. Dass die Nepalesi und Tibeter jedoch gesehen hätten, dass sich mit der Besteigung des Mount Everest Geld verdienen lasse, sei für ihn legitim. «Ohne Sherpas, die die Routen jedes Jahr wieder vorbereiten, das Material hochtragen und die Lager einrichten, wäre eine Besteigung absolut unmöglich. Daher ist es aus meiner Sicht nicht nur legitim, sondern hochverdient, dass sie ihren Teil am Kuchen verdienen.» Dazu komme, dass es in den abgelegenen Tälern Nepals und auch Tibets kaum Arbeit gäbe und die Everest-Saison den Sherpas und ihren Familien das Jahreseinkommen sichere. Ernst Huber geht gar noch einen Schritt weiter und sagt: «Wer Camps an Achttausendern kritisiert, müsste auch auf SAC-Hütten in den Schweizer Bergen verzichten.»
Zudem müsse man realistisch sein. Die Chance, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen, betrage lediglich 20-30%. Das Zeitfenster für die Besteigung des höchsten Bergs der Welt ist kurz, und das Wetter muss mitspielen. Zudem muss der Körper mit der Höhe umgehen können, und Fehler können katastrophal enden. «Auf der Südseite fliegt der Rettungsheli bis auf etwa 6‘500 Metern über Meer, auf der Nordseite gibt es keine Rettungsdienste.» Darum sei ein klarer Kopf und eine gute Kommunikation mit dem ganzen Expeditionsteam und seinem Sherpa zentral. «Die Bereitschaft, umzukehren und abzubrechen, muss vorhanden sein. Sonst endet man als Leiche am Berg.» Und doch sagt Ernst Huber: «Der Everest ist per se nicht gefährlicher als der Mont Blanc oder der Piz Bernina. Wenn du in die Berge gehst, musst du dir des Risikos einfach bewusst sein.»
Vom Zufall, der ihn in die Berge zog
In die Berge geht Ernst Huber schon jahrzehntelang. Begonnen damit hat er, als er mit knapp 30 ins Engadin zog. Und wie bei der Mount-Everest-Geschichte war auch diese eher ein Zufall. Ernst Huber wuchs in einem kleinen Dorf neben Kreuzlingen auf einem Bauernhof auf. Nach der Schule machte er eine Lehre zum Schreiner und schloss danach in Bern die Schule für Schreinermeister ab. Im Hinterkopf hatte er immer die Idee, eines Tages seine eigene Schreinerei zu haben, bestenfalls in Kombination mit der Übernahme des elterlichen Hofes. 1988 dann suchte die Engadiner Lehrwerkstatt einen Geschäftsführer, und da eine eigene Schreinerei nicht in Sichtweite und der Hof zu klein war, um weiterhin zu rentieren, bewarb er sich und bekam den Job. «Ich kannte weder das Engadin noch irgendjemanden hier. Das machte die Anfangszeit nicht unbedingt einfacher», sagt er im Rückblick und schmunzelt. Zwanzig Jahre später verlässt er die Engadiner Lehrwerkstatt, nachdem er sie etabliert hat.
Der Traum der Selbstständigkeit schlummerte da immer noch in Ernst Hubers Hinterkopf und nun schien der Moment gekommen. Zunächst begann er mit Wohnungsumbauten und -erneuerungen und fing dann an, Häuser zu planen. Das Projekt «Wohnen bis 25» war so etwas wie der Startschuss zu seiner zweiten Karriere als Architekt. Nun, mit Erreichen des Pensionsalters, nehme er keine neuen Projekte mehr an. Er schliesse seine noch laufenden Projekte ab und geniesse schon jetzt mehr Freizeit.
Die Risikobereitschaft nimmt ab
Am liebsten sei er nach wie vor in den Bergen unterwegs, mache Wanderungen, Trekkings oder Skitouren zusammen mit seiner Lebenspartnerin. Oder sei auf dem Bike unterwegs. Früher sei er oft Delta oder Gleitschirm geflogen oder habe viele Bergtouren gemacht und sei dabei auch Risiken eingegangen. Dieses Risiko sei er heute nicht mehr bereit einzugehen und er lasse es ruhiger angehen. Nach seinen Plänen für die kommenden Jahre gefragt, meint er, er lasse es auf sich zukommen. Vielleicht besteige er weitere Siebentausender, vielleicht jedoch auch nicht. Den Mount Everest würde er definitiv wieder besteigen, allerdings zwanzig Jahre jünger, sagt er mit einem Lachen im Gesicht.
















