Reportage Stories

Mit Wildhüter Fabio Crameri auf der Pirsch

Jagdtage sind lange Tage, nicht nur für die Jägerinnen und Jäger, sondern auch für die Wildhüter. Einer davon ist der Samedner Fabio Crameri. Er hat seinen Büro-Job vor gut anderthalb Jahren gegen Wild und Wald 
getauscht und lebt seither seinen Traumjob.

Es ist Mitte September, morgens um 6.15 Uhr. Das Thermometer zeigt knapp null Grad und es hängt ein zäher Nebel über dem Tal. Wir sind unterwegs in die Val Roseg, für diese ist Fabio Crameri zuständig. Beim Vogelplatz halten wir an und hören zwei röhrende Hirsche in der Brunft. Danach gehts weiter, bis zum Hotel Restaurant Roseg Gletscher. Von dort gehen wir zu Fuss weiter taleinwärts und schon bald steil den Berg hoch bis zur Alp Ota da Samedan. Immer wieder bleibt Fabio stehen, um zu spiegeln. «Auf der anderen Talseite ist eine Hirschkuh mit Sender, die wandert jeden Frühling von Ardez in die Val Roseg und im November wieder zurück.» Sehen tun wir sie heute nicht, aber dass Hirsche solche Strecken zurücklegen, sei bemerkenswert, so der ehemalige Automechaniker.
Bei der Alp Ota da Samedan angekommen, gerade über der Baumgrenze mit wunderbarem Blick ins Berninamassiv, packt Fabio Crameri das grosse Fernglas mit Stativ aus. Er spiegelt in die Bergflanke und hoch zu den schwarzen Felsen und sieht mehrere Gämsen. Wären wir Jäger, hätten wir sogar Glück haben können, ein Gamsbock nähert sich uns bis auf gut 150 Metern. Heute aber steht nicht das Jagdglück auf unserer To-Do-Liste, sondern die Aufgaben des Wildhüters. Fabio notiert das gesehene Wild auf seiner Liste, um sie später in der Wild-Statistik nachführen zu können. Anhand dieser Beobachtungen, die die Wildhüter während des ganzen Jahres notieren, können sie später die Bewegungen des Wildes nachvollziehen.

Vom Jäger zum Wildhüter

Fabio Crameri war schon als kleiner Bub fasziniert von der Jagd, ist in einer Jägerfamilie gross geworden. Mit einem Lächeln erzählt er, dass er schon als Kind am liebsten Bergschuhe trug, auch zur Schule. Draussen in der Natur zu sein, das sei schon immer sein Ding gewesen. Klar also, dass auch er Jäger wurde und viele Jahre auf die Jagd ging. Nun schultert er sein Gewehr meistens nur noch, um kranke und verletzte Tiere zu erlösen. Das sei natürlich eine Umstellung, sagt der 37-jährige Samedner. Und doch, habe er nun, als Wildhüter, seinen Traumjob gefunden. Mit einer ausladenden Handbewegung zeigt er auf die Landschaft um uns herum:

«Das ist doch das schönste 
Büro der Welt.»

Von der Alp Ota gehen wir weiter – steil aufwärts und taleinwärts. Immer weiter ins Gämsenland und in der Hoffnung, im Laufe des Vormittags auf einen Jäger zu treffen. Die sind nämlich der Grund, warum wir in der Val Roseg unterwegs sind. Fabio Crameri möchte präsent sein in seinem Verantwortungsgebiet. Er möchte da sein, mitbekommen, was geschieht und die Freude der Jägerschaft teilen.

Beobachten und kontrollieren

Immer wieder läutet sein Natel, ein Jäger hat am Vorabend eine Hirschkuh geschossen und möchte sie dem Wildhüter zeigen. Ein anderer berichtet von der Sichtung einer verletzten Gamsgeiss. Noch ein anderer berichtet, er habe seine Beute im Kühlhäuschen deponiert und sei gespannt, was der Wildhüter meine. Und dann tauscht er sich auch mehrmals mit seinen Wildhüter-Kollegen aus.
Im sogenannten Jagd-Bezirk 7, von Cinuos-chel bis Silvaplana, sind sie zu fünft. Fabio Crameri ist Bezirkschef. Jeder der fünf Wildhüter ist für ein Gebiet zuständig, Fabio wie gesagt für die Val Roseg sowie für die Steinbock-Kolonie Albris mit rund 1’300 Steinböcken.
Hier, zuhinterst in der Val Roseg, wo die Landschaft immer karger und rauher wird, kennt er sich aus und fühlt sich am wohlsten. Wir kommen vorbei an «La Capitola», sehen hoch zu den «Sandböda» und schon bald kommt auch die Chamanna Coaz in Sicht. Unterdessen ist es 11 Uhr und wir beschliessen, einen Kaffee trinken zu gehen. In der SAC-Hütte angekommen, freuen sich Ursula und Ruedi Schranz über unseren Besuch. Es geht nicht lang, da zückt der Hüttenwart sein Natel und will von Fabio wissen, ob das gefundene Skelett ein Hirsch ist oder etwas anderes. Und schon entsteht eine lebhafte Diskussion über Wild und Jagd, Tourismus und auch über die Auswirkungen des Bergsturzes am Piz Scerscen vom Frühling.

Hier Jagd-, da Jagdbanngebiet

Nach einem guten Stück Kuchen und einem Kaffee gehts für uns zurück, über den gleichen Höhenweg, wie wir gekommen sind. Der untere Weg, der am Gletschersee vorbei führt, ist diesen Sommer geschlossen, da der Bergsturz einen Teil des Weges verschüttet hatte.
Unterdessen hat sich auch der Nebel verzogen und wir sehen in die Talsohle bis nach Pontresina. Mit Blick auf die andere Talseite erklärt Fabio Crameri, dass es sich dabei um eidgenössisches Jagdbanngebiet handle. Solche Gebiete gibt es 43 mal in der ganzen Schweiz, eines davon eben auch auf Samedner Gebiet, im Gebiet Bernina-Albris. In diesem Gebiet ist jagen strengstens verboten und auch Bauvorhaben werden mit äusserster Vorsicht angeschaut. 
Diese eidgenössichen Jagdbanngebiete dienen «dem Schutz und der Erhaltung von seltenen und bedrohten wildlebenden Säugetieren und Vögeln und ihrer Lebensräume sowie der Erhaltung von gesunden, den örtlichen Verhältnissen angepassten Beständen jagdbarer Arten», wie die Eidgenossenschaft schreibt. Die Gebiete wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ausgeschieden und bis heute kann nur der Bundesrat Änderungen beschliessen.
Neben diesem Jagdbanngebiet gibt es im Gemeindegebiet von Samedan auch verschiedene Wildruhezonen. Diese sind wichtige Rückzugsgebiete für Wildtiere in den strengen Wintermonaten. Zwischen dem 20. Dezember und dem 30. April ist es folglich verboten, die Wald- und Wildschutzzonen zu betreten. Wer erwischt wird, bekommt eine Busse. Dies zu kontrollieren ist übrigens eine weitere Aufgabe von Fabio Crameri.

Zurück im Tal wartet die nächste Aufgabe

Unterdessen ist es Nachmittag geworden, in der Val Roseg herrscht ziemlicher Betrieb, es sind Biker, Wanderer und Kutschen unterwegs. Wir fahren bis nach Pontresina, dort hat die Jägersektion Albris eine Kühlzelle, wo die Jäger ihre Beute für einige Tage einlagern können und wo die Wildhüter diese kontrollieren können. Jeder Jäger muss nämlich jedes Tier zeigen, entweder in frischem Zustand – also in den Tagen nach dem Abschuss – oder dann später den Unterkiefer und die Trophäe. So wird jedes Tier ausgemessen und registriert. Unerlaubte Tiere müssen übrigens unverzüglich der Wildhut gemeldet und vorgewiesen werden. Jeder einzelne Abschuss wird auf einer App eingetragen. So sieht Fabio Crameri auf einen Blick, in welchen Gebieten welche und vor allem auch wie viele Tiere erlegt wurden. Das ist wichtig für die spätere Jagdstatistik und die Planung einer allfälligen Sonderjagd.
Heute wartet noch ein Gamsbock auf den Wildhüter. Dieser wurde am Abend zuvor im Gebiet Giandains ob Pontresina geschossen. Fabio Crameri wägt den Bock, misst seine Hinterläufe, begutachtet das Fell und misst auch die Hornlänge. Mit diesem Bock ist alles in Ordnung, Fabio schätzt ihn auf 9 Jahre und teilt dies dem glücklichen Jäger gleich am Telefon mit. Dieser freut sich und verspricht, den Bock am nächsten Tag abzuholen.

Feierabend? Denkste!

Für Fabio Crameri steht nun ein bisschen Büroarbeit auf dem Programm, bevor am Abend noch weitere Kontrollen geplant sind. Zusammen mit der Kantonspolizei werden Verkehrskontrollen durchgeführt, auch hier ist streng geregelt, bis wohin die Jäger mit ihren Autos fahren dürfen. Zuhause ist er erst nach Mitternacht – nachdem er noch zu einem Unfall mit einem Reh gerufen wurde. Es seien lange Tage während der Jagd, sagt er derweil. Danach kommt im Winter dann eine ruhigere Zeit, bevor im Frühling die Wildzählungen durchgeführt werden.
Fabio Crameri würde jedoch nicht mehr tauschen wollen. Seine Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben, sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, sagt er mit einem Strahlen im Gesicht.