Margrit Zieger und Clara Gebhart sind langjährige freiwillige Helferinnen der Organisation Tischlein Deck Dich. Jede Woche retten sie gut erhaltene Lebensmittel vor dem Mülleimer und verteilen sie an Bedürftige.
Samedan, Mittwochnachmittag. Kalte Luft folgt mir in den schmalen Vorraum der Garageneinfahrt, in der die Lebensmittelausgabe stattfindet. Etwa 15 bis 20 Personen, Männer und Frauen verschiedenen Alters warten geduldig in der Schlange vor der grossen Metalltür. Kinder spielen Fangen und ihr Lachen hüllt uns in eine angenehme Normalität in der sonst gedämpften Stimmung.
Hinter der Tür herrscht Hektik.
Eilig werden die gespendeten Lebensmittel von sechs Helferinnen ausgepackt, begutachtet, in Taschen verteilt und auf Paletten sortiert. Mehrere Holztische biegen sich vollgepackt mit Brot, frischem Gemüse, Milchprodukten, Eiern, Nudeln und mehr. Lebensmittel im Überfluss. «Das ist wirklich eine Ausnahme heute! So viel haben wir noch nie bekommen», erzählt mir Margrit Zieger aus Samedan, während sie auf die vollen Tische zeigt. Und fügt hinzu: «Die Sennerei Pontresina hatte Überschuss, weil die Hotels gerade geschlossen haben. Statt alles wegzuwerfen, haben sie es uns gegeben.»
Das sei zwar toll, doch jetzt müsse alles sehr schnell weg, weil das Verfallsdatum bald abläuft. «Und dann dürfen wir die Sachen nicht mehr rausgeben», erklärt Clara Gebhart, die flink eine Tüte mit Lebensmitteln vollpackt. Mit ihren 83 Jahren hilft sie seit 11 Jahren jede Woche ehrenamtlich mit.
Gespendete Lebensmittel reichen oft nicht
Das Prinzip von Tischlein Deck Dich ist einfach: Lebensmittel, die sonst vernichtet würden, erhalten hier ein zweites Leben. Die Esswaren, meist kurz vor dem Ablaufdatum oder mit kleinen Schönheitsfehlern, stammen von lokalen Supermärkten wie Coop, Migros, Aldi oder Lidl sowie von kleineren regionalen Spendern und Privatpersonen.
Was nach Schlaraffenland klingt, hält der Realität nicht stand. «Leider bekommen wir die Spenden nicht zuverlässig und oft haben wir viel zu wenig, um allen hungrigen Familien genug zu geben», sagt Margrit Zieger, die seit acht Jahren mittwochs die Koordination der Essensverteilung übernimmt – inklusive Protokoll schreiben für die Zentrale und Personalplanung. «Ausserdem ist es eine echte Herausforderung, die Verteilung immer so kurzfristig zu organisieren. Hinzu kommt, dass wir auch nie wissen, wie viele Familien jeweils kommen.»
Helfen ohne Gehalt
Nein, ein Gehalt bekomme sie nicht für die fünf bis sechs Stunden Arbeit jede Woche. «Aber die Freude der Menschen, die wir unterstützen, gibt mir die Motivation, weiterzumachen», sagt sie. Ausserdem findet sie, dass es auch eine ökologisch wertvolle Arbeit ist, da so Ressourcen verwertet statt weggeworfen werden.
Kein Grund zum Schämen
«Die Empfangenden sind unglaublich dankbar und zeigen das auch», pflichtet Clara Gebhart nickend bei. «Es tut gut zu helfen und zu sehen, dass unsere Unterstützung direkt dort ankommt, wo sie gebraucht wird.» Ausserdem geniesse sie auch die herzliche Gemeinschaft unter den Helferinnen und Helfern.
Aktuell sind es zu über 95 Prozent bedürftige Menschen aus der Ukraine, die regelmässig bei Tischlein Deck Dich versorgt werden. Früher seien es überwiegend portugiesische Familien gewesen, doch die sind während der Corona-Zeit zurückgekehrt in ihre Heimat, erklären mir die beiden Damen. Es habe auch einige Schweizer Familien: «Aber die kommen nicht sehr oft vorbei. Wahrscheinlich, weil sie sich schämen», sagt Margrit Zieger betroffen. «Doch dafür gibt es keinen Grund.»
Nicht jeder kann einfach so die Hilfe von Tischlein Deck Dich in Anspruch nehmen; die Berechtigung wird über die Gemeinde oder über das Sozial- oder Steueramt geregelt. Die Bedürftigen erhalten eine Karte, die ihnen den Zugang ermöglicht und sie zahlen symbolisch einen Franken. Dann erhalten sie je nach Familiengrösse und vorliegenden Spenden an diesem Tag eine bis mehrere Tüten mit frischen und unversehrten Lebensmitteln.
Zahlung mit 1 symbolischem Franken
Warum alle einen Franken zahlen müssen? Das beantwortet mir Clara Gehard: «Damit es sich nicht wie Almosen anfühlt. Wir möchten die Würde der bedürftigen Menschen schützen».
Das tun sie und mehr: Die anwesenden Helferinnen der insgesamt 18 Ehrenamtlichen werden allein heute etwa 75 Menschen mit Essen versorgt haben.
Eine wichtige Aufgabe?
Absolut, denn in der Schweiz werden jährlich 2,8 Millionen Tonnen einwandfreie Lebensmittel weggeworfen. 8,2% der Bevölkerung leben in der Schweiz in Armut, laut Bundesamt für Statistik ist mehr als jede sechste Person armutsgefährdet –
das sind insgesamt rund 1,34 Millionen Menschen.
Über Tischlein Deck Dich:
Tischlein Deck Dich ist ein Verein, der seit 1999 Lebensmittel vor der Vernichtung rettet und an bedürftige Menschen in der ganzen Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein verteilt. Die Organisation wird durch Spenden finanziert und von 4.227 Freiwilligen unterstützt. Im Jahr 2023 konnten so Lebensmittel für rund 1,8 Millionen Menschen bereitgestellt werden. Dabei erreicht Tischlein Deck Dich mit den 158 Abgabestellen direkt und indirekt über Lebensmittelhilfen Menschen in Not.
Hier gehts zur Website von Tischlein Deck Dich.